Führungskraft in unsicheren Zeiten
von Michael Breimann
Wir leben in einer Welt, die sich ständig und oft unvorhersehbar verändert. Corona, Fachkräftemangel, schwierige wirtschaftliche Bedingungen und vieles mehr machen die Rolle von Führungskräften zunehmend komplexer und anspruchsvoller. Dieser Artikel beleuchtet wesentliche Schwierigkeiten von Führungskräften in unsicheren Zeiten, denen ich in meiner täglichen Arbeit mit Führungskräften begegne. Gleichzeitig versuche ich, einige Strategien aufzuzeigen, wie man mit diesen Situationen umgehen kann.
Die Geschwindigkeit, mit der sich Märkte, Technologien und gesellschaftliche Erwartungen ändern, ist in den letzten Jahren exponentiell gestiegen. Laut Untersuchungen des World Economic Forum (WEF) aus dem Jahr 2020 und dem Global Risks Report aus dem Jahr 2023 erleben wir gerade die „Vierte Industrielle Revolution“, die durch schnelle technologische Fortschritte wie Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Digitalisierung gekennzeichnet ist. Gleichzeitig hebt der Bericht hervor, dass geopolitische Spannungen, wirtschaftliche Unsicherheiten und technologische Disruptionen zu einem Anstieg der Marktvolatilität führen. All dies führt dazu, dass Führungskräfte und ihre Teams diesem ständigen Wandel unterliegen und darauf achten müssen, nicht den Anschluss zu verlieren.
Mit der enormen Zunahme von Datenmengen und neuen Technologien steigt auch die Komplexität der Aufgaben, die Führungskräfte bewältigen müssen. Entscheidungen müssen oft unter Zeitdruck getroffen werden, ohne dass alle relevanten Informationen vorliegen. Seit Corona kommen noch neue Herausforderungen im Bereich sich verändernder Arbeits- und Kommunikationsmodelle hinzu. „Wie halte ich Kontakt zu Mitarbeitenden und Kolleg*innen im Homeoffice?“, „Wie oft ist es sinnvoll, im Büro zu arbeiten?“, „Wie kann ich sicher sein, dass weiterhin alle im Team an den vorgegebenen Zielen arbeiten?“, um nur einige der Fragen zu nennen, die mir immer wieder gestellt werden. Diese Unsicherheit führt nicht selten zu einem Gefühl der Überforderung bei den Führungskräften, und damit auch bei ihren Teams.
In unserer globalisierten Welt sind viele Entscheidungen nicht mehr eindeutig richtig oder falsch. Führungskräfte müssen lernen, ihre Entscheidungen in einem Graubereich zu treffen, sie müssen lernen, mit dieser Ambiguität umzugehen und dennoch klare Richtungen vorzugeben. Dies ist besonders schwierig, wenn Mitarbeitende klare Anweisungen und Stabilität erwarten.
Der Druck, wirtschaftliche Ziele zu erreichen, wird durch die zunehmende Erwartung verstärkt, dass Unternehmen auch soziale Verantwortung übernehmen. Unter anderem der Fachkräftemangel führt dazu, dass Unternehmen und ihre Führungskräfte sich mehr und mehr an den Bedürfnissen und Forderungen von Mitarbeitenden orientieren müssen. Besonders hier in Deutschland, wo soziale Marktwirtschaft und Arbeitnehmerrechte grundsätzlich einen hohen Stellenwert haben, müssen Führungskräfte oft einen scheinbar unmöglichen Spagat zwischen diesen Polen Zielerreichung und Bedürfniserfüllung vollziehen.
Die oben genannten „schwierigen Bedingungen“ verlangen nach Lösungen. Ich beobachte immer wieder, dass Führungskräfte diesen Problemen gegenüber ratlos sind oder teilweise Lösungen suchen, die sie in „alte Zeiten“ zurückführen. Als Beispiel dafür nenne ich die „beliebte“ Diskussion um das Thema der Kaffeeküche, die seit der verstärkten Arbeit im Home-Office von vielen schmerzlich vermisst wird. Immer wieder sehe ich Versuche, die Kaffeeküche durch etwas Gleichwertiges und Virtuelles zu ersetzen. Das ist ungefähr so, als wenn ich vegan leben würde und mit aller Macht versuche, Fleischgerichte eins zu eins durch eine vegane Alternative zu ersetzen. Es geht vielmehr darum neue Wege zu gehen und nicht zu alten Lösungen zurückzukehren. Erst wenn ich begriffen habe, dass mir diese neuen Probleme auch neue Möglichkeiten eröffnen, kann ich mich sinnvoll nach vorne bewegen. Gleichzeitig möchte ich aber betonen, dass Lösungsansätze manchmal in bewährten und leicht angepassten Methoden liegen und nicht immer alles neu erfunden werden muss. Es gibt keine Patentrezepte, die in jeder Situation funktionieren, aber sicherlich gibt es einige sinnvolle Denkansätze und Impulse, die helfen können, mit den oben genannten Schwierigkeiten umzugehen. Hier einige Beispiele:
Ein möglicher Ansatz, um mit der zunehmenden Volatilität und dem schnellen Wandel umzugehen, besteht darin, eine Kultur der Agilität im Unternehmen zu fördern. Auch wenn das Wort Agilität mittlerweile abgenutzt wirkt, ergibt es in seiner reinen Bedeutung einen Sinn. Dies bedeutet nämlich nicht nur, flexibel auf Veränderungen zu reagieren, sondern auch proaktiv Innovationen voranzutreiben. Ein konkretes Beispiel hierfür ist die Einführung agiler Methoden aus Scrum oder Kanban, die in vielen IT-Unternehmen bereits erfolgreich eingesetzt werden. Diese Methoden ermöglichen es Teams, Projekte in kurzen Iterationen voranzutreiben, wodurch schneller auf Marktveränderungen reagiert werden kann. Ein Unternehmen, das dies vorbildlich umsetzt, ist Spotify, das mit seiner agilen Arbeitsweise kontinuierlich neue Features und Verbesserungen in seine Plattform integriert und so seine Marktposition stärkt. Viele unserer Kunden setzen diese Methoden nicht nur in den üblichen Bereichen wie Software- oder Hardware-Entwicklung ein, sondern in angepasster Form auch in Marketing, Vertrieb, Support und Service oder im Strategiebereich.
Ein weiteres Beispiel ist die Förderung einer Lernkultur innerhalb des Unternehmens. Da die technologischen Anforderungen ständig steigen, ist es unerlässlich, dass sich Führungskräfte und ihre Teams kontinuierlich weiterbilden. Dies kann durch regelmäßige Schulungen, die Teilnahme an Tech-Konferenzen oder durch den Einsatz von Learning Management Systemen (LMS) geschehen, die Mitarbeitenden eine flexible und selbstgesteuerte Weiterbildung ermöglichen. Führungskräfte sollten ihre Mitarbeitenden dazu ermutigen, sich Zeit für die Weiterbildung zu nehmen. Dabei gilt es die persönlichen Anforderungen der Mitarbeitenden an ihre Lernfähigkeiten und Präferenzen zu berücksichtigen. Während einige Menschen gut in Gruppen und Fortbildungen lernen, mögen es andere lieber zeitlich flexibel, allein oder in Remote-Veranstaltungen zu lernen. Wichtig ist es, dass Führungskräfte diese Lernkultur fördern und Zeit dafür einplanen.
Ein zentrales Thema, das in unsicheren Zeiten häufig übersehen wird, ist die emotionale Resilienz. Führungskräfte stehen nicht nur unter dem Druck, wirtschaftliche Ziele zu erreichen, sondern müssen auch die psychische Gesundheit ihrer Teams im Blick behalten. Ein konkretes Beispiel, wie Unternehmen dies umsetzen können, ist die Einführung von Programmen zur mentalen Gesundheit, wie etwa regelmäßige Check-ins, anonyme Beratungshotlines oder die Förderung einer offenen Gesprächskultur über Stress und Belastungen. Eine Reihe unserer Kunden bieten zum Beispiel feste Coachingtage, an denen sich die Mitarbeitenden bei Coaches einbuchen können und ihre Themen ganz individuell besprochen werden. Nicht selten führt dies wieder zu Lösungen, die diese Mitarbeitenden dann in Brown-Bag-Sessions oder ähnlichen Veranstaltungen an andere Mitarbeitende weitergeben. Sinnvoll sind nicht nur Angebote zur psychischen Gesundheit, sondern auch Trainings für Führungskräfte, um besser auf die emotionalen Bedürfnisse ihrer Teams eingehen zu können.
Ein oft unterschätztes, aber wesentliches Element in unsicheren Zeiten ist die Transparenz in der Kommunikation. In Zeiten von Homeoffice und hybriden Arbeitsmodellen können Missverständnisse und Informationslücken schnell zu Misstrauen und Verunsicherung führen. Hier können regelmäßige virtuelle All-Hands-Meetings, in denen die Geschäftsführung aktuelle Entwicklungen transparent darlegt und Fragen offen beantwortet, entscheidend sein. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass es oft nicht ausreicht, die Entscheidungen offen zu kommunizieren, sondern auch den Weg dahin. Es ist gut zu beobachten, dass sich immer mehr Menschen ungerecht behandelt fühlen. Transparenz über die Entscheidungswege und -kriterien hilft hier genauso, wie klarzumachen, dass eine für alle Personen gerechte Lösung nicht erzielt werden kann, da alle Beteiligten ein anderes Verständnis von Gerechtigkeit haben können. Ein gutes Beispiel für ein Unternehmen, in dem Transparenz vorbildlich praktiziert wird, ist Otto. Das Unternehmen setzt stark auf eine offene Kommunikation und Transparenz innerhalb der Organisation. Otto veröffentlicht beispielsweise regelmäßig interne Berichte, die nicht nur finanzielle Kennzahlen, sondern auch strategische Entscheidungen und deren Hintergründe offenlegen. Diese Praxis fördert nicht nur das Vertrauen der Mitarbeitenden, sondern auch deren Verständnis und Engagement für die Unternehmensziele. Durch die transparente Kommunikation fühlt sich das gesamte Team stärker in die Unternehmensentwicklung eingebunden, was die gemeinsame Ausrichtung auf die Ziele deutlich stärkt.
Nachdem ich weiter oben das Thema der Kaffeeküche angesprochen habe, möchte ich auch darauf eingehen und exemplarisch aufzeigen, wie sich Lösungen für derartige Herausforderungen finden lassen. Wichtig ist im ersten Schritt herauszufinden, welche Vorteile die bisherige Kaffeeküche gebracht hat und sich dann Lösungen für jeden dieser Vorteile zu überlegen. Hier ein paar Impulse:
Ein wichtiger Aspekt der altbekannten und bewährten Kaffeeküche ist die Stärkung sozialer Kontakte. Dies ist in vielen Unternehmen ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmenskultur. Ein möglicher Ansatz, um diese informellen Begegnungen in einer virtuellen Arbeitswelt zu fördern, ist die Einführung von regelmäßigen, informellen virtuellen Kaffeepausen. Diese können als freiwillige, lockere Videokonferenzen organisiert werden, bei denen die Teilnehmenden ohne festes Thema einfach ins Gespräch kommen können. Die Einführung von regelmäßigen „Office-Tagen“, zum Beispiel einmal im Monat, kann hier genauso förderlich sein. Allerdings sollte darauf geachtet werden, diese Tage nicht unnötig mit Meetings vollzustopfen. Sie sollen eher dem sozialen Austausch der Mitarbeitenden dienen. Ein schönes Beispiel für ein Unternehmen, das den sozialen Austausch und die Bindung zwischen Teammitgliedern in einem Remote-Arbeitsumfeld fördert, ist sipgate. Das Düsseldorfer Unternehmen, bekannt für seine innovative Arbeitskultur, setzt auf regelmäßige virtuelle „Kaffeepausen“, bei denen Mitarbeitende in kleinen, zufällig ausgewählten Gruppen zusammenkommen, um sich informell auszutauschen. Diese Treffen sind bewusst ungezwungen gehalten und bieten den Mitarbeitenden die Möglichkeit, in einem entspannten Rahmen Kontakte zu knüpfen und Informationen auszutauschen.
Ein weiterer wichtiger Vorteil der „alten“ Kaffeeküche ist die Möglichkeit für zufällige Begegnungen, die oft zu wertvollem Informationsaustausch führen. Um dies in einem digitalen Umfeld zu ermöglichen, können Unternehmen Tools wie Slack oder Microsoft Teams nutzen, um spontane, informelle Chats zu fördern. Beispielsweise kann ein „Random Coffee“ Bot in Slack implementiert werden, der regelmäßig zwei zufällige Mitarbeitende zusammenbringt, um sich kennenzulernen und auszutauschen. Diese zufälligen Begegnungen können überraschende Synergien schaffen und dazu beitragen, Informationen weiterzugeben. Wichtig ist es hierbei auf die Freiwilligkeit zu achten und Mitarbeitende nicht in eine ungewünschte Kommunikation zu zwingen.
Der dritte Aspekt, den die Kaffeeküche bietet, ist die Möglichkeit, kurze Pausen zu machen. In einer virtuellen Umgebung kann dies durch die Einführung von „Digital Detox“ Zeiten gefördert werden, in denen Mitarbeitende bewusst ermutigt werden, den Computer zu verlassen und eine kurze Pause zu machen. Unternehmen, wie zum Beispiel die Bayer AG, haben in ihrer Unternehmensstrategie feste Pausenzeiten und Erholungsphasen integriert. Dies verdeutlicht Mitarbeitenden die Wichtigkeit dieser Zeiten und macht klar, dass sie nicht nur geduldet, sondern erwünscht sind. Führungskräfte können hier mit gutem Beispiel vorangehen. Darüber hinaus können Unternehmen ihren Mitarbeitenden auch Zugang zu geführten Meditations- oder Entspannungsübungen anbieten, die flexibel in den Arbeitsalltag integriert werden können.
Auch wenn es zuerst wie das Gegenteil von Pausen wirkt, kann die Einführung von No-Meeting-Days und sogenannten Fokuszeiten ebenso dazu dienen, die Herausforderungen der heutigen Zeit zu meistern und Mitarbeitenden mehr Spielraum in Ihrer Gestaltung zu geben. Viele Mitarbeitende fühlen sich durch die vielen Meetings in ihrer Produktivität negativ beeinträchtigt. Unternehmen wie die Merck Gruppe haben im Rahmen ihrer sogenannten „Work smart“ Initiative zum Beispiel ganze Fokus-Tage eingeführt, an denen es keine Meetings gibt und die Mitarbeitenden ungestörte Zeit für konzentrierte Arbeit haben, die es ihnen ermöglicht, ihre Aufgaben ohne Unterbrechung zu erledigen.
Es ist, wie gesagt, wichtig zu betonen, dass diese Vorschläge nicht in jedem Unternehmen oder in jeder Kultur gleichermaßen erfolgreich sein müssen. Jedes Unternehmen hat seine eigene Dynamik und Kultur, die zu berücksichtigen ist. Der Schlüssel liegt darin, offen für Experimente zu sein und gemeinsam mit dem Team herauszufinden, welche Lösungen am besten zur eigenen Unternehmenskultur passen. Erfahrungen aus anderen Unternehmen oder Impulse von Menschen, die diesen Themen täglich begegnen, können hier ebenso hilfreich sein.
Letztlich ist es entscheidend, dass Führungskräfte in der Lage sind, eine Balance zwischen bewährten Methoden und innovativen Ansätzen zu finden. Ein Beispiel hierfür ist die Art und Weise, wie Unternehmen hybride Arbeitsmodelle implementieren. Während viele Führungskräfte versuchen durch starre Anwesenheitspflichten Kontrolle auszuüben, zeigen andere erfolgreiche Unternehmen, dass Vertrauen und Flexibilität zu besseren Ergebnissen führen können. Flexibilität in Ort und Zeit sind heute kein „Geschenk“ an Mitarbeitende, sondern für viel Unternehmen eine Notwendigkeit, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Richtig umgesetzt wird dies zu einem Vorteil für Unternehmen und Mitarbeitende.
Diese Beispiele sollen zeigen, dass es in unsicheren Zeiten keine universellen Lösungen gibt, sondern dass Führungskräfte bereit sein müssen, sowohl bewährte Ansätze anzupassen als auch neue Wege zu beschreiten. Wichtig ist, dass sie dabei stets den Fokus auf das Wohl ihrer Teams und die Anpassungsfähigkeit des Unternehmens legen, um den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt erfolgreich begegnen zu können. In Bezug auf die Vereinbarkeit von wirtschaftlichen Zielen und sozialen Erwartungen sollten Führungskräfte ein Umfeld schaffen, in dem die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ernst genommen und in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit zum Remote-Arbeiten und ein offener Dialog über individuelle Bedürfnisse sind dabei nur einige der Maßnahmen, die ergriffen werden können. Gleichzeitig muss aber auch die Zielerreichung im Auge behalten werden, was durch klare Zielsetzungen und regelmäßiges Feedback unterstützt werden kann.
Insgesamt erfordert die Führung in unsicheren Zeiten eine Balance zwischen Flexibilität und Stabilität, zwischen dem Fördern von Innovationen und dem Erhalt bewährter Strukturen. Durch eine offene, transparente und unterstützende Führung werden Führungskräfte nicht nur die aktuellen Herausforderungen meistern, sondern sogar gestärkt aus ihnen hervorgehen.
Wenn Sie weitere Fragen zu dem Thema haben oder sich Unterstützung wünschen, sei es für sich selbst oder Ihre Führungskräfte, sprechen Sie uns jederzeit gerne an. Wir sind für Sie erreichbar unter buero@stoegerpartner.de oder telefonisch unter der Rufnummer +49 (0)89 890 8332-30.